Realität & Wirklichkeit
Alle kennen sie, aber keiner will sie je gesehen haben:
Die Gerichts-Shows à la Barbera Salesch, Alexander Hold oder Anwalts-Serien wie Liebling Kreuzberg, Lenßen & Partner oder Edel & Starck im deutschen Nachmittags- oder Vorabendprogramm.
Stets geht es um spektakuläre Fälle, der Zuschauerraum des Gerichtssaals ist (auch in eigentlich nichtöffentlichen Familiensachen oder Verfahren vor dem Jugendrichter) bis auf den letzten Platz besetzt. Und immer gibt es eine unvorhersehbare Wende des Falles, Zeugen tauchen plötzlich und ungeladen im Gerichtssaal auf, weil sie gerade zufällig von der Verhandlung erfahren haben und natürlich zur Aufklärung des Falles beitragen können. Von den Verfahrensbeteiligten weiß zwar niemand, wozu der plötzlich aufgetauchte Zeuge eigentlich etwas sagen kann, aber ganz spontan und ohne Beweisantrag wird er dennoch an Ort und Stelle vernommen… Ständig klingelt das Telefon eines Anwaltes oder Staatsanwaltes, dem nun der Anrufer die neuesten Erkenntnisse durchstellt.
Ähnlich läuft es in den Anwaltsserien. Stets erfolgreiche Anwälte, die sich ihr eigenes Ermittlerteam halten, welches mit Richtmikrofonen und Schlauchkameras ausgerüstet, der Gegenseite oder gar dem eigenen Mandanten hinterherspionieren, sich zu fremden Wohnungen und Hotelzimmern Zutritt verschaffen, um in letzter Minute eingreifen und den wahren Übeltäter stellen zu können.
Dies alles hat mit dem tatsächlichen Alltagsleben eines Rechtsanwaltes wenig zu tun.
Von Staatsanwalt und Richter wird der Anwalt als Strafverteidiger nur ein müdes Lächeln ernten, wenn er in der Verhandlung per Telefon den Hinweis auf einen neuen Zeugen erhält, der „zufällig“ gerade im Café um die Ecke sitzt und dem Gericht vorschlägt, diesen doch einmal anzuhören…
Obwohl die meisten Verhandlungen öffentlich sind, verirrt sich kaum ein Zuschauer in einen Gerichtssaal, ausgenommen natürlich spektakuläre Strafverfahren. Zum Strafrichter am Amtsgericht verschlägt es gelegentlich eine Schulklasse, Verfahren gegen Jugendliche finden dagegen regelmäßig unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Etwas häufiger sitzt eine Berufsschulklasse im Zuschauerraum des Arbeitsgerichtes. Familiensachen hingegen werden fast ausnahmslos nicht öffentlich verhandelt.
Vom Anwalt für einen Prozeß oder die Zwangsvollstreckung benötigte Informationen werden auch nicht durch ein eigenes Ermittlungsteam mittels fragwürdiger Ermittlungsmethoden ermittelt. Natürlich versucht ein Strafverteidiger, Entlastungszeugen ausfindig zu machen und durch Einsichtnahme in die Ermittlungsakte Anhaltspunkte für weitere Ermittlungsansätze zu gewinnen.
Im Bereich der Zwangsvollstreckung ist der Anwalt auf Informationen der eigenen Mandantschaft angewiesen, wo z.B. der Gegner, gegen den vollstreckt werden soll, arbeitet, er Grundbesitz hat oder ähnliches. Sind entsprechende Informationen nicht verfügbar, kann eine vom Gerichtsvollzieher abzunehmende Eidesstattliche Versicherung Klarheit bringen.
Bei untergetauchten Gegnern vermittelt der Anwalt auf Wunsch eine Detektei, die im Auftrag des Mandanten eigene Ermittlungen anstellt. Dies ist für den Mandanten aber mit nicht unerheblichen Kosten verbunden.
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß der anwaltliche Alltag zwar abwechslungsreich, aber deutlich weniger spektakulär verläuft, als viele sich dies vorstellen.